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Naturrarität in der Kulturlandschaft

Bei Kilometer 220 mündet der längste Fluß Nordrhein-Westfalens,

die „Lippe“ in den längsten Fluß Deutschlands, den „Rhein“.

 

Quelle: Google Earth  2019 / 2022     weitere Bilder auf Geoportal Ruhr: https://luftbilder.geoportal.ruhr/?#Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein./51.64292r0@EPSG:25832

Mit etwa 150ha Fläche ist die Lippe im Lippemündungsraum eine der wenigen, seltenen Flüsse Deutschlands mit Mündungsdelta und einer Auenlandschaft, die die Hochwasser von Lippe und Rhein aufnehmen kann und so die umliegenden Wohn- und Gewerbegebiete Wesels schützt.

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Lippe ein massiv beeinträchtigtes Gewässer. Es gab kaum noch natürliche Bereiche, der Großteil des Flusses war kanalisiert. Hinzu kamen immer mehr Abwässer auch aus der Industrie und dem Bergbau. Im Jahr 1926 wurde daraufhin der Lippeverband gegründet, welcher sich der Problematik annahm und erstmals Maßnahmen zur Abwasserreinigung und zum Hochwasserschutz einleitete.

→ die Folgen dieses Verbrechens an der Natur sind auch heute noch messbar: https://www.kreis-wesel.de/bbK/digitale_Bodenbelastungskarte/BBK/WES_BBK_Frame.html

In den 1980er Jahren wurden im Landesentwicklungsplan (LEP) NRW die planungsrechtlichen Weichen gestellt, um 240 ha des Lippemündungsraumes nach der Gewinnung von Sand und Kies mit Bergematerial hochwassersicher zu verfüllen und anschließend als Standort für „flächenintensive Großvorhaben“ mit Hafenanschluss zu nutzen.

 

 Quelle: Lippe-Mündungsraum, südlich von Wesel, 1990 (© Luftbild, Land NRW)

In der Folge wurde seit 1993 im Südteil des Lippe-Mündungsraumes im Tagebauverfahren Sand und Kies gewonnen.

Mit der im Jahr 2000 in Kraft getretenen Europäischen Wasserrahmenricht­linie (EU-WRRL) wird nicht nur ein „guter Zustand“ für alle Gewässer in den Mitgliedsstaaten der EU bis zum Jahr 2027 gefordert. Die Lippe ist ein sogenanntes Gewässer erster Ordnung und steht damit im Eigentum des Landes NRW. Zwischen der Mündung der Lippe in den Rhein und Lippborg führt der Lippeverband die Maßnahmen zur ökologischen Entwicklung der Lippe im Auftrag des Landes durch. Mit dem „Programm Lebendige Gewässer“ werden die Maßnahmen der Wasserrahmenrichtlinie im Land NRW umgesetzt.

1999 wurde die Planung geändert mit dem Ziel nur noch 60 ha. am ehemaligen Ölhafen für Gewerbe und Industrie hochwassersicher zu verfüllen und die restlichen Flächen naturnah zu gestalten. Da darüber hinaus auf der Nordseite des Lippe-Flusses die Südumgehung Wesel als B 58n zur Entlastung des Stadtgebietes Wesel geplant ist, wurde beschlossen im Rahmen eines integrierten Projektes der gesamte Lippe-Mündungsraum umzugestalten. Im Rahmen des Projektes sollte nicht nur ein bedeutender Hochwasserrückhalteraum, sondern auch ein besonderer Lebensraum für Flora und Fauna am Niederrhein entstehen. Es sollten nur geeignete Bedingungen für eine eigendynamische Flussentwicklung und für die Entwicklung flussmündungsspezifischer Auenhabitate und Lebensgemeinschaften geschaffen werden. Deshalb wurde, außer einer mit Basalt befestigten Sohlgleite jeweils beim Eintritt der Lippe in den Lippe-Mündungsraum sowie an der Mündung der Lippe in den Rhein, keinerlei Ufer- bzw. Sohlenbefestigung eingebaut.

  

 Quelle: Plan zur Neugestaltung des Lippe-Mündungsraumes aus 1999 (© Hülskens, Wesel)  |  Lippemündundungsraum im Stadtentwicklungskonzept Wesel 2022

Am Unterlauf der Lippe ist seit 2009 die neue Lippe-Mündung bei Wesel mit einer ausgedehnten Aue kurz vor dem Rhein angelegt und 2014 fertig gestellt worden. Im Zuge der knapp fünfjährigen Bauzeit entstand durch Bodenabtrag beiderseits der 2,5 Kilometer langen neuen Gewässertrasse eine 142 Hektar große Flusslandschaft mit zahlreichen wechselfeuchten Flächen, die je nach Wasserstand der Lippe beziehungsweise des Rheins überschwemmt sind oder trocken fallen – bereits heute ein Eldorado für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Der Umgestaltung der Region kam entgegen, daß sich die Lippe bereits ein neues Bett durch die neben ihr geschaffenen Auskiesungsseen gesucht hatte, die durch industriellen Abbau von Kies geschaffen worden waren.

Die so geschundene Natur kehrte in den renaturierten Bereich zurück, die Vögel des Vogelschutzgebietes Unterer Niederrhein sind hier wieder zu sehen, auch so eindrucksvolle wie der Seeadler, Kormorane, ja selbst ein Pelikan.  Seltene Fischarten wie der Lachs und die Quappe sind in der Lippe wieder zu finden. Schon im Sommer 2016 konnten in der Weseler Lippe-Aue 595 Tierarten und 425 pflanzliche Spezies bestimmt werden - über 200 Pflanzenarten, 60 Brutvogel- und 40 Wasservogelarten sowie 30 Fischarten.

Um die starke Tendenz zur Verbuschung der offenen Aueflächen entgegen zu wirken, war ein Management der Vegetationsentwicklung mittels Beweidung von Anfang an unabdingbar. Die bisherige intensive Begrasung mit Schafen und Ziegen ist suboptimal, weil diese die Vegetation nahezu flächendeckend so kurz halten, dass die Deckung für Kleinsäuger und Bodenbrüter weitgehend fehlt.

Dringend notwendig wäre eine deutliche Reduktion der Schafs- und Ziegenbeweidung und eine zusätzliche Beweidung mit großen Grasfressern, wie (gehörnte) Rinder bzw. Pferde. Große Grasfresser halten die Verbuschung auf und fressen die Bodenvegetation in unterschiedlicher Höhe ab, wodurch eine kleinflächige Mosaiklandschaft entsteht. In der Folge nimmt die Biotopvielfalt und damit die Artenvielfalt zu und bleiben die Hochwasserbergungskapazität und die Durchströmungsmöglichkeit erhalten. Darüber hinaus helfen die großen Grasfresser dabei Spaziergänger mit und ohne Hund aus den wertvollen Schutzflächen heraus zu halten.

Die Erfahrungen mit der Vernichtung von natürlichen Ressourcen aus den Jahren des 20. Jahrhunderts - auch und gerade am Beispiel der Lippe -  sollten den Menschen Wesels im 21. Jahrhundert eine Lehre sein, nicht dieselben Fehler erneut zu begehen.

Die Planungen zu gewerblicher Flächennutzung in natürlichen Flächen in direkter Angrenzung an den Lippemündungsraum und in Übergriff auf Naturschutz- und Landschaftsschutz lassen befürchten, daß die Politik die Lehren aus der Vergangenheit und die gegebenen Versprechungen für einen besseren Naturschutz vergessen haben könnte.

Weitergehende Informationen zu dieser Thematik finden sich auch auf unserer Seite https://initiative-lippemuendungsraum.de/index.php/der-lippemuendungsraum/die-lippe

Die Initiative Schutz des Lippemündungsraums will die Verantwortlichen an diese Erfahrungen aus der Vergangenheit und die Versprechungen erinnern.

 

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Lippemündungsraum, Naturschutz, Information