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Seite 4 von 6: Vogelschutzgebiet unterer Niederrhein

Die Lippemündungsregion ist „eigentlich“ Teil des Vogelschutzgebietes „Unterer Niederrhein“

Das EU-Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein ist in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit:

wegen des ornithologischen Wertes, seine Lage in einem dicht besiedelten Bundesland und wegen einer Reihe rechtlicher Besonderheiten. Als schon 1983 benanntes EU-Vogelschutzgebiet gehört es zu den Gebieten, die kurz nach Verabschiedung der Richtlinie – also in der Geburtsstunde des europäischen Naturschutzrechts – ausgewiesen wurden. 25 Jahre später ist das Gebiet ein Musterbeispiel, um Stärken und Schwächen des europäischen Naturschutzrechts sowie die oft unzureichende Aufgabenwahrnehmung der beteiligten Naturschutzbehörden aufzuzeigen. Die weitere Entwicklung wird daher zur Nagelprobe für das europäische Naturschutzrecht werden, die sich im weiteren Verlauf auch auf später ausgewiesene EU-Vogelschutzgebiete und die sich erst schrittweise etablierende Praxis in der europäischen Naturschutzpolitik auswirken wird. 

 Geschichte der Unterschutzstellung

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde von Seiten der Naturschutz- und ornithologischen Fachverbände die Ausweisung von Schutzgebieten am Unteren Niederrhein thematisiert, da sich durch die Entwicklung der Landwirtschaft und anderer Nutzungen deutliche Rückgänge bedrohter Vogelarten abzeichneten. Die Ausweisung des Unteren Niederrheins als EU-Vogelschutzgebiet erfolgte dann im September 1983 durch ein Schreiben des damaligen Ministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen (MELF) an die EU-Kommission. Es wurde ein Gebiet mit einer geschätzten Flächengröße von etwa 25.000 Hektar gemeldet (eine spätere genaue Planimetrierung ergab eine Größe von 27.238 Hektar). Im Oktober 1983 folgte dann in derselben Abgrenzung und Flächengröße die Meldung als Feuchtgebiet internationaler Bedeutung gemäß Ramsar-Konvention (zusammen mit der Weserstaustufe Schlüsselburg und den Rieselfeldern Münster) durch das MELF. Ramsar- und EU-Vogelschutzgebiet waren in ihrer ursprünglichen Abgrenzung nicht binnendifferenziert, sie umfassten auch Streusiedlungen und Infrastruktureinrichtungen, die nicht aus der Flächenkulisse herausgenommen worden waren. Im Jahr 1992 wurde das EU-Vogelschutzgebiet durch Aufnahme von Bereichen an der Lippemündung, im Orsoyer Rheinbogen sowie in der Hetter ergänzt und damit auf 29.954 Hektar vergrößert.

Ausweisung von Naturschutzgebieten


In den 1980er und Anfang der 1990er Jahre wurde dann eine Vielzahl von Teilflächen des EU-Vogelschutzgebiets als Naturschutzgebiet (NSG) ausgewiesen. Bis 1993 wurden 29 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 10.482 Hektar als NSG gesichert. Dies geschah zum großen Teil im Rahmen des nordrhein-westfälischen Feuchtwiesenschutzprogramms, wobei über die NSG-Verordnung in der Regel nur ein so genannter Grundschutz festgeschrieben wurde und weitergehende Schutzmaßnahmen auf freiwilliger Basis im Rahmen des Vertragsnaturschutzes erreicht werden sollten. In geringem Umfang wurden auch Flächen durch das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) für den Naturschutz erworben; außerdem wurden der Forstverwaltung unterstehende Offenlandflächen Naturschutzzwecken zugeführt. Rund 19.472 Hektar des EU-Vogelschutzgebietes blieben ohne NSG-Schutzstatus wobei weitere 10.555 Hektar als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen worden sind. Allerdings haben diese Schutzverordnungen keinen Bezug zur EU-Vogelschutzrichtlinie und den hier relevanten Schutzgütern.

Benennung als Important Bird Area (IBA)

Seit Einführung des IBA-Konzeptes durch den International Council for Bird Preservation (ICBP) erfolgte die Auswahl von Gebieten anhand objektiv nachvollziehbarer, ornithologischer Kriterien. Von Seiten der Naturschutzverbände wurde seit Ende der 1980er Jahre eine flächenmäßig unzureichende Ausweisung des Unteren Niederrheins beanstandet. Einer der Gründe für ein größer abzugrenzendes Vogelschutzgebiet lag in der Zunahme der Blässgans-Rastbestände und der damit verbundenen großflächigeren Nutzung von Äsungsflächen seit Mitte der 1980er Jahre. Folgerichtig wurde bereits in der ersten Zusammenstellung von Important Bird Areas im Bereich der Europäischen Union durch den ICBP ein IBA „Niederrhein: Wesel/Xanten – Emmerich/Hüthum" mit einer Flächengröße von 50.000 ha gelistet. Weitere Untersuchungen haben im Folgenden diese Flächengröße im Wesentlichen bestätigt. So wurde das Important Bird Area „Unterer Niederrhein" bei den folgenden europa- und deutschlandweiten Zusammenstellungen mit gut 48.000 Hektar Flächengröße abgegrenzt.

Verkleinerung des EU-Vogelschutzgebietes Ende der 1990er Jahre


In den 1980er Jahren wurde der Status als EU-Vogelschutzgebiet von Seiten der meisten Behörden, Landnutzer und Kommunalpolitiker bei Planungen nicht beachtet, da in dieser Zeit EU-Recht noch nicht als rechtsverbindlich angesehen und häufig ignoriert wurde. Das sollte sich Mitte der 1990er Jahre im Zuge der Diskussion um die Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat- (FFH-)Richtlinie grundlegend ändern. Nachdem verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofes die unmittelbare Beachtlichkeit des EU-Rechtes in den Mitgliedsstaaten bestätigt hatten, gab es bei der Meldung von FFH-Gebieten erstmals massive Konflikte mit verschiedenen Interessenverbänden, die konkrete Auswirkungen auf ihre Tätigkeiten befürchteten. Das 1983 ausgewiesene Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein geriet dabei ebenfalls mit in den Fokus und wurde zum Gegenstand politischer Diskussionen.

Die Verhandlungen um die Ausweisung von FFH-Gebieten wurde von Interessenverbänden dazu genutzt, auch die Ausweisung und Abgrenzung des EU-Vogelschutzgebietes in Frage zu stellen. Es wurde massive Lobbyarbeit für eine Verkleinerung des Vogelschutzgebiets Unterer Niederrhein betrieben. Der Kreis Kleve erhob die Forderung, die Vogelschutzgebietsabgrenzung auf die bis dahin ausgewiesenen Natur- und Landschaftsschutzgebiete zurückzunehmen. Letztendlich gab das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW (MURL NRW) teilweise nach und legte 1998 eine neue kartographische Abgrenzung des Vogelschutzgebietes mit einer Flächengröße von nur noch 20.200 Hektar vor - eine Verkleinerung um rund 9.000 Hektar. Grundlage der Vogelschutzgebietsverkleinerung durch das Ministerium war eine eigens für dieses Vogelschutzgebiet erstellte Methodik zur Gebietsabgrenzung auf der Basis von Gänsefraßentschädigungszahlungen.


Der NABU NRW hat dagegen immer darauf hingewiesen, dass Entschädigungszahlungen zwar in der Regel die Anwesenheit arktischer Wildgänse belegen, ansonsten aber nur Aufschluss über die Empfindlichkeit landwirtschaftlicher Kulturen gegenüber Fraßschäden geben und keine Rückschlüsse auf die Bedeutung einer Fläche als Äsungsfläche für arktische Wildgänse zulassen. Abgeerntete Flächen, die insbesondere für die Saatgans eine dominierende Bedeutung haben, werden mit dieser Methodik überhaupt nicht erfasst. Des Weiteren wurden die Vorkommen der anderen wertgebenden Arten vom Land NRW nur auf Teilflächen erfasst und berücksichtigt.Bei objektiver Betrachtung der Ereignisse ist offenkundig, dass die verkleinerte Abgrenzung des Vogelschutzgebiets Unterer Niederrhein nicht ausschließlich aufgrund von fachlichen Kriterien erfolgte, wie es für Vogelschutzgebiete rechtlich vorgesehen ist, sondern politische Vorgaben wesentlichen Einfluss hatten. In dieser Situation gab der NABU NRW ein Gutachten in Auftrag, das noch einmal die fachliche Abgrenzung des Vogelschutzgebiets Unterer Niederrhein nach ornithologischen Kriterien untersuchen sollte. Das Gutachten bestätigte die schon im IBA-Verzeichnis dokumentierte Abgrenzung und wurde dann Grundlage einer EU-Beschwerde des NABU NRW gegen die Verkleinerung des Gebiets.

Das Vertragsverletzungsverfahren 2001/5003 der EU gegen Deutschland

Aufgrund der, auch aus Sicht der EU-Kommission, widerrechtlichen Verkleinerung des Vogel¬schutzgebiets Unterer Niederrhein, der mehr als doppelt so großen IBA-Abgrenzung sowie der Ausführungen im Gutachten des NABU NRW eröffnete die EU-Kommission im Oktober 2006 mit dem Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2001/5003. Damit wurde der Fall des Vogelschutzgebiets Unterer Niederrhein wegen seiner Tragweite und Besonderheiten aus dem horizontalen Verfahren zur unzureichenden Ausweisung von Vogelschutzgebieten in Deutschland herausgenommen. Der NABU NRW wurde Beschwerdeführer dieses neuen Vertragsverletzungsverfahrens. Zur Unterstützung des Verfahrens wurden vom NABU NRW umfangreiche Materialien bereitgestellt.


Das Land NRW hat dann im Jahr 2008 mit der EU-Kommission einen Kompromiss ausgehandelt; an der Diskussion wurde auch der NABU NRW beteiligt. Die Einigung zwischen dem Land NRW und der EU-Kommission sah vor, dass das Vogelschutzgebiet mit Verordnung vom 28.04.2009 um 5.538 Hektar auf insgesamt 25.809 Hektar erweitert wird. Gleichzeitig verpflichtete sich das Land NRW gegenüber der EU-Kommission zur Erarbeitung eines Maßnahmenplans für das EU-Vogelschutzgebiet sowie zur Umsetzung der darin vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung des Erhaltungszustands der Zielarten unter den Brut- und Rastvögeln.


Der NABU NRW hält diese Nachmeldung nach wie vor für unzureichend, hat aber angesichts der Zustimmung der EU-Kommission auf eine Weiterverfolgung der Beschwerde verzichtet. Die fachliche Auffassung des NABU NRW spiegelt sich in einer weiterentwickelten IBA-Abgrenzung, die nun noch 38.000 Hektar umfasst, wider. Grund für die Verkleinerung der IBA-Abgrenzung von ursprünglich 48.000 Hektar sind vor allem die Herausnahme von kleineren Ortschaften und Hofstellen (Binnendifferenzierung) sowie die Abkopplung des Gebietes „Lippeaue" zu einem gegebenfalls eigenständig zu meldenden Vogelschutzgebiet.

 

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